Zuhören
Seattle, Minneapolis, Paris, Brüssel, Berlin- Neukölln, und jetzt Stuttgart. Nun ist es so weit, selbst die Tagesschau kann nicht mehr wegsehen. Die Innenstadt von Stuttgart wurde verwüstet , die Polizei dort massiv angegriffen, und die anfangs noch zaghaft ausgeführten Versuche, das in eine ausgeartete Polizeikontrolle und die Solidarisierung von zufällig vorbeikommenden Partygängern umzudeuten, weicht der Erkenntnis, dass die Aufständischen überwiegend junge Männer mit Migrationshintergrund und radikalisierte Vermummte aus dem vermutlich linken Spektrum waren und das das nicht nur ein Problem aus den USA, aus Brüssel oder aus Berlin-Neukölln ist. Nun ist es Stuttgart und die bange Frage, wo dieses Phänomen als nächstes auftaucht.
Gleich am nächsten Tag das übliche ratlose Sprech "Der Rechtsstaat muss sprechen, wir müssen handeln, Wir müssen Antworten finden".
Ich widerspreche vehement.
Das sind die Antworten.
Das sind die Antworten auf mangelndes Handeln,
Das sind die Antworten auf einen erodierten Rechtstaat
und das sind die Antworten auf mindestens 15 Jahre fatal falsche Politik.
Diese Antworten nicht hören zu wollen, bringt uns keinen Schritt weiter.
Stuttgart ist die Antwort auf eine Fake Zuhörpolitik, die immer das rechte Ohr zustöpselt und links Watte reinsteckt.
Das Land zerbricht - und zwar, weil keiner zuhört.
Bashen, trashen, cashen sind fatale Kommunikationsfehler, die uns alle ein gutes Leben kosten.
Das echte Leben, mein Leben, das Leben, dass ich immer leben wollte, ist in zu vielen Fällen dem "woanders ist es noch schlechter, wir können doch noch froh sein" gewichen.
Wenn wir dem ewigen Abstieg zusehen, der uns als Aufstieg verkauft wird, dann führt das dazu, dass diese Anpassungsleistung an die Realität uns zum Bersten viel abverlangt.
Und wenn jemand birst , dann sind wir ihm sauer.
DU AUCH NICHT !
Wenn wundert es noch, dass junge Menschen MIT Migrationshintergrund, junge Menschen ohne Migrationshintergrund, die nicht so richtig ins Raster passen, junge Menschen mit Anpassungsschwierigkeiten, junge Menschen aus den ärmeren Vierteln und junge Menschen, die alternativ leben wollen und schon verstanden haben, dass diese Gesellschaft irrt, jetzt wütend werden.
Jetzt wütend werden, weil man ihnen jetzt mit den Coronamaßnahmen die absolute Perspektivlosigkeit präsentiert und mit dem letzten Rest Geld den letzten Rest an Würde nimmt.
Die, die sich zu fünft das Leasing für einen Sportwagen geteilt haben merken es noch gar nicht, dass das neue Handy, der finanzierte Sportwagen, die riesige Uhr, der stets perfekte Haarschnitt, die letzten Insignien, noch zum wohlhabenden Teil dieser Gesellschaft zu gehören, nicht bleiben werden und auch nie die Antwort waren.
Sie filmen jetzt mit dem Handy die, die nie einen Wagen leasen konnten, die, die in Ihren umgehängten Guccitaschen nie Geld hatten, sondern nur Zigaretten und das drei Jahre alte smartphone.
Dabei sind nicht das die Verlierer, sondern wir alle.
Sich ausgegrenzt und ausgebeutet zu fühlen und um den Lohn ihres Lebens beraubt, das ist etwas, an dass sich die deutsche Unterschicht, die zahnlosen Rentner an der Tafel, die Armen mit den gepflegten 15 Jahre alten Jackets , die sich unauffällig nach Pfandflaschen umsehen, längst gewöhnt haben.
Hartz4 hat Platz gemacht für "selber schuld" und hat den Mythos vom ewig faulen Sozialhilfeempfänger ebenso gestärkt wie auf der anderen Seite das Gefühl, dem gängelnden Staat hilflos ausgeliefert zu sein.
Was im langsamen Gewöhnen an "Im Alter haben wir nichts" noch gelungen ist, die Akzeptanz, dass das Leben nur in den ersten 50 Jahren gelebt werden soll, dass, wer dann rausfällt, keine Chance mehr auf einen Job hat, keine Chance mehr auf einen würdigen Lebensabend, das betraf irgendwie immer nur die anderen, denn den Kontakt zu denen zu halten oder zu suchen , die "die anderen" sind, das haben sich aus Angst, den
Abgrund vor Augen zu haben, nur wenige angetan.
Nun vernichten die Regierungen weltweit Wohlstand, so scheint es, aber in Wirklichkeit vernichten sie die Wohlstandsillusion.
Und verknüpfen das neue Hoffen mit digitalen Zutrittsrechten.
Ich nehme Dir alles, aber ich gebe Dir ein bisschen zurück, wenn Du mitmachst, Maske, Abstand, Gehorsam.
Die geübten Anpasser machen mit, es wird schon wieder- und es sind ja auch nur noch ein paar Jahre
Was aber ist mit denen, die nicht nur 10 Jahre Leben übrig haben , sondern 60, was ist mit denen, die noch nicht so richtig angepasst sind, die nie richtig einsteigen konnten in unsere Gesellschaft?
Ja, BlackLivesMatter, aber auch diese Bewegung darf man mit all ihren guten Ansätzen kritisieren, denn als jemand, der nicht selbst betroffen ist auf eine Demo gegen Rassismus zu gehen, ist auch Konsum von Rassismus, ist ein scheinheiliges Ich bin kein Rassist, ich war ja Samstag da.
Das allein löst die Probleme nicht und wenn eine Woche Später von den 10.000 nur noch 500 da sind, müssen die 9500 anderen anfangen, an sich zu arbeiten.
Die, um die es gehen soll, werden von dieser Scheinheiligkeit nicht unterstützt, sondern benutzt, die Mehrheitsgesellschaft entlädt sich ihres Schuldkomplexes und spendet auch gern noch irgendwas, am liebsten Applaus, danach aber bitte wieder normales Leben.
Die Lösungen, nun mal den Benachteiligten den Vortritt zu lassen, ist so absurd, dass es kracht.
Benachteiligung ist Diskriminierung , Bevorzugung ist eine noch perfidere Diskriminierung, wie ist wohl die eigene Wahrnehmung, wie ist die äußere Wahrnehmung, wenn im Raume steht, dass habe man nicht selber geschafft, sondern nur weil man schwarz ist.
Ein sichtbares Entgegenkommen für jede Untergruppe zu schaffen, scheint oft eine logische Konsequenz aus Benachteiligungen zu sein, aber sagt eine dritte Toilette nicht eigentlich nur, dass es immer noch nicht normal ist, auf eine der zwei anderen zu gehen, so wie man es selber richtig findet?
Macht Sonderrechte einfordern nicht nur immer deutlich " Ich bin anders und gehöre noch nicht ganz dazu" ?
Natürlich : Die Ablehnung des anderen ist fatal falsch.
Wenn ich keine "anderen" mehr akzeptiere, dann nehme ich mir lebenswichtigen Input weg. Gäbe es keine anderen, keine anderen Meinungen, keine anderen Entwicklungen, keine anderen Ideen, dann wären wir heute noch Nazis, Kaisertreue oder Neandertaler.
Leben ist Veränderung. Und Veränderung findet sehr oft durch den anderen und das andere statt.
Das Wir der anderen abzulehnen, fällt immer leichter,
als einen Teil von meinem Wir wieder aufzugeben, weil es dem anderen nicht gefällt.
Wir müssen aber streiten, wir müssen einander zuhören und die Diskussion führen, wer in diesem Land die beste Lösung parat hat.
Das können Muslime sein, das können Juden sein, es werden auf jeden Fall Menschen sein. Denn Maschinen und Algorithmen die Macht zu überlassen, ist ein fataler Fehler . Die Macht des Digitalen erleben wir in der jetzigen Spaltung mehr als deutlich. Jeder ist in seiner Bubble und hält den anderen für bescheuert. So kommen wir keinen Schritt weiter.
Und ja, ich bin Teil des Problems, auch ich denke oft, die anderen sind bescheuert, aber ich bin bereit, mit ihnen zu reden.
Weil ich weiß, dass nur das die Lösung ist..
Ich gebe gern das Beispiel zum Besten, dass jemand, der eine richtig blöde Idee hat, vor 20 Jahren ziemlich oft daran gescheitert ist , diese Idee zu verbreiten. Er musste nämlich anderen von dieser blöden Idee erzählen und konnte dass in der Regel auch nur in einem räumlich engbegrenzten Rahmen tun.
Heute geht er auf blödeideen.de oder gleich auf blödeideen.com und findet Gleichgesinnte.
Und google zeigt ihm fortan noch mehr blöde Ideen an und facebook empfiehlt ihm zwei Gruppen mit blöden Menschen, die auch blöde ideen haben.
Deshalb sind heute auch sehr viele blöde Menschen mit blöden Ideen komplett davon überzeugt, dass sie mehrheitsfähig sind.
Wir müssen aus genau diesem Grund zurück in den direkten Austausch. Mensch zu Mensch.
Denn im echten Leben merkt man sehr schnell, was eine Blöde Idee ist. Spaltung zum Beispiel ist eine blöde Idee.
Die Spaltung und Abgrenzung in schwarz und weiß, in die und wir, in selber schuld und ich zuerst, nutzt wie immer nur den anderen.
Denen da oben, den Superreichen, den fernen Lenkern, den Despoten, die nicht greifbar sind.
Diesen Despoten, dem neuen Geld, den Digitalen Eliten, ist es nicht nur egal, dass nun überall gespalten, gestritten und physisch in die Gestaltung der Innenstädte eingegriffen wird, es ist ihnen sogar recht.
Wenn auf der einen Seite unsere selten dämliche Stadtverwaltung die letzten 30 Parkplätze aus der Innenstadt entfernt, dreiecke draufmalt und das als mehr Aufenthaltsqualität deklariert und den Rest die
Wütenden erledigen, nämlich die Geschäfte zu zerlegen, die Einkaufenden in Angst und Schrecken zu versetzen, dann sind wir genau da, wo die neuen Herrscher uns haben wollen.
In Angst und im Internet. Als gläserner Verbraucher, als jemand, der seinen Fleiß in Einsen und Nullen tauscht und digital nicht nur seinen Konsum auslebt, sondern auch seine Freundschaften, seinen sozialen Austausch und am besten auch noch sein Sexualleben.
Das ist so falsch wie wahr und es ist nur schwer rückgängig zu machen.
Jeden einzelnen dieser Jungen Menschen, die heute unsere Innenstädte zerlegen, habe ich kennengelernt, auf Klassenfahrten, im Linienbus, in der Dönerbude und beim absurd anderen Herrenschwimmen in Köln-Mülheim.
Jeder einzelne von Ihnen hat sehr einfache und ehrbare Ziele.
Haus Baum Frau Kind Hund.
Was heute als Perspektive bleibt, sind der Baum und bestenfalls der Hund.
Die Wut wird sich wieder legen, wenn alle die Unausweichlichkeit der Situation verstanden haben, aber auch dann werden wir reden müssen.
Und vor allem zuhören.