
Ich fahre heute, wie es so meine Art ist, an einem Werbeplakat vorbei.
Ich kann ja nicht an jedem Plakat anhalten...Dennoch verfolge ich aus den Augenwinkeln, wie mir ein Uhrenhersteller, der hier nicht genannt werden möchte, weil er mir grad nicht mehr einfällt, erklärt, nicht Fahrstiel ( mit ie) oder DVD-Sammlung gäben Auskunft über den wahren Charakter, sondern die Uhr, die man trüge.
Bisher hatte ich natürlich leichtfüßig vermutet, die Uhr gebe Auskunft über die Zeit, aber weit gefehlt!
Augenblicklich schossen mir sich selbst erklärende Paarungen von Mensch und Uhr ins Gehirn, ein Gewirr aus Zahnrädern und LSD- Kristallen oder wie das heisst, ich war verwirrt.
Ich erinnerte mich, dass ich schon viele verschieden Uhren gehabt hatte, war ich tatsächlich vom digitalen Mensch zum Chroniker geworden?
Paßte ich so noch in die Zeit?
Ich verglich mich mit meiner jetzigen Uhr.
Sie war schlicht, robust und ging genau, das Datum stimmte manchmal nicht und es war eine Solaruhr, also eine, die Sonne braucht, um zu leben. so gesehn...
Sollte im Ernst etwas hinter jener Werbebotschaft verborgen sein?
Die fiese Immobilienmaklerin hatte eine häßliche weisse Uhr mit Schlangenlederarmband gehabt, auf der man die Zeit genauso schlecht sehen konnte wie den Fußboden unter dem Dreck oder die vierte der sieben Tapetenschichten. Es stank furchtbar und sie frohlockte "Toll nicht, genau SO können Sie die Wohnung ja auch wieder übergeben" Ich hatte ja schon Schwierigkeiten, mich selbst nicht zu übergeben..
Eine Gruppe lärmender , dummer Menschen stieg zu mir in den Bus.
Alle hatten große Uhren, deren Innenleben sicher billig war. Einer sagte "guck mal, geil" und drückte auf seiner Uhr rum, die daraufhin irgendwas tat, was ganz sicher nicht geil war.
Mir schossen Schnösel mit Fliegeruhren durch den Kopf, Hausfrauen mit einfachen Quarzlaufwerken, ein Swatchfetischist mit zweihundertzwanzig Uhren, der auch sonst launisch war, kam mir wieder in den Sinn.
Die goldene Uhr zum 25sten Jubiläum in der Firma, macht sie einen neuen Menschen aus dem einfachen Arbeiter, der bisher nur "so eine mit som Metallband" hatte? Irgendwie schon, der ist doch sicher stolz.
Den ganzen Tag. Und dann legt er sie "irgendwo wech, für Gut..."
Denn "für die Arbeit ist die zu schade." Und da ist man ja auch nach 25 Jahren noch ein Arbeiter, die tragen solche Uhren nicht.
Was passiert denn, wenn man seine Uhr ins Pfandhaus bringt? Gibt man da auch seine Persönlichkeit ab? Irgendwie schon, ne? Aber kriegt man ja wieder, wenn das mit der Firma wieder aufwärts geht.
Ich habe meiner Schwester mal eine schöne Uhr geschenkt. Die Uhr war unten in nem kleinen Kistchen. oben in dem kleinen Kistchen hatte ich aus purer Bosheit eine neuwertige, aber extrem häßliche, kleine, sechseckige, weisslackige Damenuhr mit einem Spaghettiband platziert.
Vier Jahre hat meine Schwester nicht mit mir gesprochen und jeden Brief ungeöffnet weggeworfen.
Also beinahe zumindest.